Anwendung und Ziele
Diese Übung bringt die Teilnehmer:innen in einen intensiven und persönlichen Austausch und hilft dabei, ein kollektives Gefühl der Offenheit und Empathie zu schaffen. Es wird eine Ethik des Zuhörens vermittelt und praktiziert, die als gemeinsame Grundlage für zukünftige Übungen und den restlichen Prozess dienen kann. Daher ist es empfehlenswert, diese Übung im ersten Teil von Gruppenprozessen anzuwenden.
Diese Übung kann auch dazu genutzt werden, um eine vorangegangene Erfahrung aus einer anderen Übungseinheit zu vertiefen.
Außerdem kann sie Raum dafür schaffen, dass die Standpunkte der Teilnehmer:innen bezüglich des zu untersuchenden Themas eingebracht werden können.
Wenn die Gruppe sich noch in einem sehr offenen Prozess befindet und Themen oder Fragen noch sehr unkonkret sind, kann die Methode dazu genutzt werden, jene Themen und Fragen zu produzieren, die gemeinsam untersucht werden sollen.
So geht’s
Teil die Gruppe in Paare ein. Eine Person übernimmt die Rolle des „Zuhörers“. Die andere Person wird gebeten ihre Gedanken, Wahrnehmungen, Gefühle zu einem bestimmten Thema oder einem Erlebnis mitzuteilen. Die Übung kann an verschiedene Inhalte angepasst werden, wichtig ist hier vor allem das Üben des Zuhörens und Fragenstellens.
Die „Zuhörer:innen“ sind dafür verantwortlich, eine Umgebung zu schaffen, in der sich das Sprechen und die Erzählung der anderen Person entfalten kann. Ihre Aufgabe besteht darin, Raum zu schaffen und Raum zu geben.
Beginne bei dir selbst, um Raum zu schaffen. Achte auf die Bilder, die beim Zuhören in deinem Kopf entstehen. Ruft das, was du hörst, eine Erinnerung bei dir hervor? Wie würdest du die beschriebene Situation darstellen? Projektion ist ein Teil dessen, wie Wahrnehmung funktioniert. Versuche nicht, deine Projektionen zu unterdrücken, bemerke nur, dass sie sich auf dich selbst beziehen, nicht auf die Erlebnisse deines Gegenübers.
Gib deinem Gegenüber Raum, indem du die üblichen Antworten, wie „Ich weiß, wie das ist.“, „Ich habe das Gleiche hinter mir.“, etc. vermeidest. Vermeide auch, Ratschläge zu geben sowie nach Lösungen zu suchen und Analysen vorzunehmen. Konzentriere dich bei deinen Antworten stattdessen darauf, Fragen zu stellen.
Gib Raum, indem du Fragen stellst, die das Erlebnis weiter beschreiben: Wie hast du dich gefühlt? Welche körperlichen Reaktionen und Empfindungen hattest du? Was war der Kontext der Situation? Wer war noch dabei? Wie fühlt es sich jetzt an, während du es erzählst? Was hast du damals gedacht? Was geht dir jetzt durch den Kopf? Vermeide die „Warum“-Fragen.
Achte darauf, wie sich die Person auf das Erlebnis bezieht und wie sie darüber spricht. Spiegel es ihr, ohne es zu analysieren: „Mir ist aufgefallen, dass du deinen rechten Daumen mit dem linken schon länger hältst“. „Mir ist aufgefallen, dass du einige Mal das Wort ‚x‘ benutzt hast.“
Achte beim Fragenstellen darauf, ob hinter den Fragen eine Aussage steht. Oft formulieren wir Fragen, um das Gefühl zu bekommen, im Recht zu sein, oder sogar, um den anderen zu manipulieren und das Gespräch in die Richtung zu lenken, in der wir es haben wollen. Oft stellen wir Fragen, auf die wir bereits die Antworten „kennen“. Versuche, dies zu vermeiden, indem du diese Art von Fragen wahrnimmst und neu formulierst.
Das Ziel dieser Übung ist es nicht, eine Art diskursive Wahrheit zu erreichen. Vielmehr soll der Person, welche die Erlebnisse mitteilt, geholfen werden, sie zu beschreiben und zu vertiefen. Ihr soll geholfen werden die richtigen Worte zu finden und das Erlebte neu zu ordnen. Durch ihr Zuhören und ihre Fragen helfen die Zuhörer:innen ihrem Gegenüber, das Erlebte fassbarer zu machen, anstatt es zu „verstehen“.
Variationen & Erweiterungen
Zeichnen von Gefühlsformen:
Nachdem es zweimal durchgeführt wurde, so dass jede Person einmal Zuhörer:in war, werden die Teilnehmer:innen gebeten, ihre Erfahrungen mittels einer Zeichnung zu teilen. So soll eine visuelle Darstellung dessen, wie sich der Austausch angefühlt hat, entstehen.
Versuche den Rhythmus, die Körperempfindungen, die subjektive Raumempfindung zwischen euch und um dich herum, in Form von Bewegung, Linien, Mustern usw. auszudrücken.
Zeigt euch dann gegenseitig die Zeichnungen und nehmt euch etwas Zeit, sie zu betrachten, ohne sie zu kommentieren.
Eröffnet dann das Gespräch darüber. Verwendet die Zeichnungen, um zu beschreiben, wie die Gesprächserfahrungen für euch waren. Sucht nach möglichen Beziehungen zwischen den Zeichnungen.
“Word-Map”:
Eine Möglichkeit, das Gespräch zu „dokumentieren“, kann das Zeichnen einer „Word-Map“ sein. Hier liegt der Fokus mehr auf dem Inhalt des Gesprächs. Nach jeder Runde werden die Zuhörer:innen eingeladen, die relevantesten Wörter und Ausdrücke auf dem Papier zu notieren. Dabei sollten sie sich überlegen, wie sie gestaltet und angeordnet sind, und auf die räumliche Beziehung zwischen ihnen achten sowie entscheiden, welche Größe und Farben für jedes Wort verwendet werden. Auch können Linien, Formen oder gestisches Zeichnen verwendet werden, um die “Word-Map” ausdrucksstärker zu machen und Beziehungen zwischen den Wörtern aufzuzeigen.
Sowohl die Zeichnungen als auch die “Word-Maps” können für eine weitere Aktivität, wie beispielsweise einer Reflexion mit der ganzen Gruppe, verwendet werden. Die „Word-Maps“ können außerdem verwendet werden, um gemeinsame Themen der Teilnehmer:innen zu identifizieren und Teilnehmer:innen mit gemeinsamen Themen in Gruppen zu organisieren, so dass sie diese weiter untersuchen können.
Mögliche Kombinationen
Quellen
“Listening shapes speech” ist eine Methode, die ich auf der Grundlage verschiedener Einflüsse entwickelt habe. Sie bezieht sich zum Einen auf Kommunikationsmethoden wie den “Bohm’schen Dialog” und die Gewaltfreie Kommunikation. Zum Anderen basiert sie auch auf meiner Erfahrung, als Dokumentarfilmemacher Menschen zu interviewen. Darüber hinaus sind einige verwendete ethische Prinzipien durch meine Praxis der somatisch-relationalen Methode “Authentic Movement” mit der Dozentin Soraya Jorge beeinflusst.
Der Fokus auf das “Wie” und insbesondere das Austauschformat des „Zeichnens von Gefühlsformen“ ist inspiriert von dem Konzept “Vitalitätsformen” des Psychologen Daniel Stern. Sein Buch “Ausdrucksformen der Vitalität” war sehr prägend für die Gestaltung der Prinzipien hinter den Methoden und Ideen, die auf dieser Website vorgestellt werden.