Anwendung und Ziele

Es ist empfehlenswert, die Methode in der zweiten Hälfte von Prozessen anzuwenden, um eine Erfahrung oder ein Gefühl durch eine nonverbale, intuitive und körperorientierte Perspektive zu erkunden. Bevor mit dieser Übung begonnen wird, sollten die Teilnehmer:innen bereits geübt haben, die Bewegung entstehen und sich ausdrücken zu lassen, ohne zu versuchen, sie zu kontrollieren. Dazu sind u.a. die Übungen „Follow the affect“ und „Relational soundscapes“ geeignet.

So geht’s

Diese Übung kann in Zweier- bis Sechsergruppen durchgeführt werden. Mit ihrer Hilfe wird eine Lebenssituation oder eine bestimmte Interaktion untersucht, in der wir uns aufgrund von Gefühlskonflikten, Orientierungslosigkeit, unausgeglichenen Beziehungen, ethischen Dilemmas, stagnierender Entwicklungen usw. festgefahren (stuck) fühlen.

Die Teilnehmer:innen sind gebeten, an ein Beispiel in ihrem Leben zu denken, in dem sie sich festgefahren fühlten. Das kann ein bestimmtes Ereignis oder eine Beziehung sein, aber auch ein Muster, das in verschiedenen Situationen auftaucht. 

Im nächsten Schritt sollen die Teilnehmer:innen intuitiv eine Körperskulptur ausüben, die die Eigenschaften dieser Erfahrung verkörpert. Dazu sollen sie das „Körpergefühl“, das sie in dieser Situation oder diesem Muster haben, aktivieren und mit ihrem Körper ausdrücken, ohne es zu rationalisieren. Es geht nicht darum, die Gefühle durch eine Erzählung oder ein Bild mit inszenatorischen Qualitäten zu kommunizieren, sondern sie zu spüren. Es ist nicht wichtig, ob die anderen verstehen, worum es geht. 

Jede Person ist für sich und findet die Körperskulptur für sich selbst. 

Nimm dir einen Moment Zeit, um die folgenden Aspekte wahrzunehmen und zu spüren, während du die Skulptur ausübst: Welche Körperteile sind besonders präsent? Werden bestimmte Körperteile in eine bestimmte Richtung gezogen oder geschoben? Wie ist dein Gleichgewicht? Wie ist dein Blick? Ist in einigen Körperbereichen Energie angesammelt?

Danach finden sich die Teilnehmer:innen in Gruppen oder Paaren zusammen. Jeweils eine Person wird dann von den anderen Gruppenmitgliedern dabei beobachtet, wie sie die Skulptur in Bewegung versetzt. Hier sind einige Anweisungen, um es geschehen zu lassen:

Schaffe deine Skulptur. Nimm dir etwas Zeit, um das „Feststecken“ als Ganzes zu spüren. Lass das Körpergefühl etwas intensiver werden. Vermeide es, in eine Interpretation oder einen Planungsprozess überzugehen, in dem du die Bewegungsabfolge, ein finales Bild oder Narrativ voraus denkst. Irgendwann wirst du bemerken, dass in einem bestimmten Teil deines Körpers eine kleine Bewegung stattfindet. Es kann deine Gleichgewichtsverschiebung sein, ein subtiles Zittern, ein Finger, eine Tonusveränderung… Achte auf diese Verschiebungen, diese kleinen Bewegungen, und gib ihnen den Raum, sich zu entfalten. Allein deine gezielte Aufmerksamkeit kann ausreichen, um diese Bewegung zu intensivieren. Und weil der Körper ein Ganzes ist – nicht eine Summe von Einzelteilen – wird eine Bewegung andere Bewegungen mit sich bringen. Versuche, dir eine solche Beobachterposition zu verschaffen und beobachte, wie dein Körper in Bewegung gerät, wie er dich mitnimmt. 

Irgendwann gelangst du zu einer Art Abschluss dieser Bewegungen und damit zur Erreichung einer zweiten Skulptur. Nimm dir einen Moment Zeit, um diese zweite Position zu spüren. 

Im Anschluss wird sich in der Gruppe ausgetauscht, was die Teilnehmer:innen gesehen haben. Dabei sollte sich auf die körperliche Beschreibung konzentriert werden, zum Beispiel was sie fühlten, was sie sich vorstellten, wie die Skulpturen auf sie wirkten. Sie sollten Interpretationen vermeiden und auch nicht versuchen, eine „kohärente“ Geschichte daraus zu machen. Jede:r Beobachter:in hat bis zu 3 Minuten Zeit, um zu erzählen. 

Eine neue Runde sollte von den Gruppen gemeinsam begonnen werden. Eine Klangschale kann ein sehr geeignetes Instrument sein, um den gemeinsamen Beginn zu markieren.

Das Prinzip hinter der „Stuck Practice“ ist, dass nichts im Leben für immer festgefahren sein kann. Bewegung und Veränderung sind grundlegende Lebensprinzipien. Außerdem hat der Körper eine eigene Weisheit, und da er nicht von Verstand und Denken zu trennen ist, hat er auch die Fähigkeit, die Wahrnehmungen, Gefühle und Muster, die mit jeder Erfahrung verbunden sind, neu zu organisieren. Diese „intuitive“ Körperpraxis wirkt auf die Gesamtheit des Konflikts. Wir wissen nicht, was sie macht oder bewirkt hat, weil sie nicht mit Kategorien arbeitet, wie es das logische Denken tun würde. Dennoch ist dieses „logische Wissen“ nicht notwendig, damit eine Transformation stattfinden kann. Das bewusste Wahrnehmen und die Anwesenheit im Moment sind ausreichend. Außerdem kann das Feedback der beobachtenden Teilnehmer:innen das Bewusstsein auf Aspekte der Erfahrung lenken, die vielleicht bisher im Hintergrund geblieben sind.

Variationen & Erweiterungen

Die Körperskulptur einer Person kann durch andere Teilnehmer:innen erweitert werden. In diesem Fall wird ein:e Teilnehmer:in die Skulptur wie oben beschrieben erzeugen. Ein anderes Gruppenmitglied nimmt sich einen Moment Zeit, um mit der Skulptur körperlich in Resonanz zu gehen und sich in Beziehung zu ihr zu positionieren. Damit erweitert und verstärkt sie die Skulptur. Auch hier ist es wichtig, dass die Teilnehmer:innen nicht versuchen, eine Erzählung zu produzieren, wenn sie sich positionieren, sondern auf ihr Körpergefühl und die Körperlichkeit der Skulptur reagieren. Drei weitere Teilnehmer:innen sind eine gute Obergrenze für diese erweiterte Skulptur. Durch das Klangschalenzeichen werden sie, wie oben beschrieben, Bewegung entstehen lassen. In dieser Variation werden sie aber auch von den Bewegungen der anderen Körper beeinflusst und sollten sich von der gesamten Gruppe leiten und beeinflussen lassen, aber auch auf ihre eigenen Empfindungen und Impulse hören. 

Die Austauschrunde kann anhand von Zeichnungen, visuellen Eindrücken der beiden Körperskulpturen und dem Prozess zwischen ihnen erfolgen. In der Austauschrunde nehmen sich die Beobachter:innen etwa 3 Minuten Zeit, um das, was sie gesehen und gefühlt haben, in einer visuellen Form auszudrücken. Der Vorteil, die Zeichnung als Grundlage für den anschließenden Austausch zu verwenden, ist, dass die Teilnehmer:innen einen ästhetischen Ansatz (eine verkörperte, sensorische Beschreibung) anstelle eines interpretativen Ansatzes verfolgen können.

Mögliche Kombinationen

Folge dem Affekt

Listening shapes speech

Echoen

Quellen

Diese Methode stammt aus dem „Social Presencing Theater“, einer kunstbasierten Methode zur Förderung transformativer Prozesse, die von Arawana Hayashi und Otto Scharmer entwickelt wurde. Videos von Arawana, bei der sie die „Stuck Practice“ anleitet, können unter diesem Link angesehen werden.

Eine Vielzahl von Übungen, die das Prinzip der Körperskulptur nutzen, sind in Schriften von Augusto Boal, dem Begründer der Methode „Theater der Unterdrückten“, dokumentiert (siehe z.B. sein Buch „Games for Actors and Non-actors“).